Umbaupläne einer (Europa-)Kreuzung – Bericht

Leerer Stuhl im Rathaus bei Infoveranstaltung
Viele leere Stühle im Rathaus bei der Informationsveranstaltung zum Umbau der Europakreuzung.

Diagonal oder nicht. Seit fast drei Jahren wird die Debatte um einen Umbau der Europakreuzung in Greifswald im Zusammenhang mit der sogenannten Diagonalquerung für Radfahrende geführt. Doch dabei gibt es viel Meinungsmache und Manipulation.

Glaubt man den Meinungen in den Leserbriefen des hiesigen Lokalblättchens spalten sich an diesem Verkehrsprojekt die Meinungen in zwei unversöhnliche Lager auf. Zugezogene Verkehrsregeln mißachtende Studierende, die die Querung befürworten und auf der anderen Seite das größere Lager der „einheimischen“ Gegner mit starken Lobbygruppen, denen das Projekt zu teuer und unsicher ist, und die das Verhalten der Radfahrenden generell nicht akzeptabel finden.

Nachdem es das Umbauprojekt Europakreuzung 2012 erneut nicht in den Haushalt geschafft hat, steht in der Sitzung der Bürgerschaft am 15. Mai die Streichung des Vorhabens aus dem Verkehrsplan auf der Tagesordnung. Um sachliche Informationen aus erster Hand zu erhalten, richtete die Bügerschaftsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mittwochabend eine Informationsveranstaltung mit dem verantwortlichen Stadtplaner Gerhard Imhorst im Bürgerschaftssaal des Rathaus aus.

EUROPAKREUZUNG ZENTRALER KNOTENPUNKT DER FAHRRADACHSE

In einer Powerpointpräsentation (hier als PDF und nach diesem Absatz eingebettet zu finden) stellte Imhorst den ca. 30 anwesenden Gästen die Pläne vor. Er zeigte, dass die Europakreuzung auf der zentralen Fahrradachse aus Richtung Elisenhain/Elisenpark über die Pappelallee bis zum Bahnhof einer von drei wichtigen Knotenpunkten ist, an dem Handlungsbedarf besteht. Die beiden anderen Punkte sind die Querung der Walther-Rathenau-Straße und die des Karl-Liebknecht-Rings.

Den Ausbau der Robert-Blum-Straße stellte er für 2013 in Aussicht. In der Mühlenstraße und Am Mühlentor soll noch 2012 gebaut werden. Alle Maßnahmen kämen dem Radverkehr zugute. Umwege sollen so beseitigt werden.

EUROPAKREUZUNG: IST- UND SOLLZUSTAND

Plan zur Diagonalquerung an der Europakreuzung
Plan zum Umbau der Europakreuzung mit Diagonalquerung. Bild: Stadt Greifswald.

Dann schilderte Imhorst den aktuellen Zustand der Europakreuzung. Die Radfahrer- und Fußgängerfurten sind zu schmal und oft mit z.B. 40 Radfahrern je Grünphase an der Goethestraße deutlich überlastet. Es kommt zu Konflikten untereinander und zwischen Radfahrern und Fußgängern. Wer die Stelle mal in der typischen Zeit zwischen zwei Vorlesungen z.B. um 12 Uhr rum befahren hat, weiß was damit gemeint ist. Hinzu kommen zu kleine Abstellflächen und veraltete Ampeln (LSA=Lichtsignalanlage), die in den nächsten Jahren erneuert werden müssen.

Die Umbaupläne der Europakreuzung sehen für die Diagonalquerung eine 5m breite Furt, je 2,5m in jede Richtung, für Fahrräder vor. Eine eigene Grünphase für diese Spur ist nicht vorgesehen. Der motorisierte Verkehr aus dem Hansering biegt gleichzeitig mit ab. Außerdem kommt es zu einer Verkleinerung der Kreuzung. Dadurch und gekoppelt mit einer leistungsfähigeren Ampel werden auch für Fußgänger die Wege über die Kreuzung kürzer. Im Zuge des Kreuzungsumbaus kommt es auch zum Wegfall einer Linksabbiegerspur aus dem Hansering.

SEIT 1995 NAHM VERKEHR UM 20 PROZENT AB

Messungen des Verkehrsbüros Dr. Hunger haben 2009 und 2010 ergeben, dass die Verkehrsbelastung an der Europakreuzung durch den Bau von Umgehungsstraßen im Vergleich mit 1995 um 20 Prozent zurückgegangen ist. Bezogen auf den Linksabbieger Hansering ist der Rückgang sogar mit 23 Prozent etwas höher.

Dort sehen die Planungen den Wegfall einer Spur vor. Durch längere Grünphasen und das niedrigere Verkehrsaufkommen kann die Spurreduzierung allerdings kompensiert werden und Stau vermieden werden.

DIE KOSTENSCHÄTZUNG UND 280.000 EURO NUTZEN

Ein wichtiges Argument der Gegner des Umbauvorhabens sind die Kosten. Dabei müssen die Kostenschätzungen differenziert betrachtete werden und nicht einfach eine Summe von 185.000 Euro in den Raum geworfen werden. Die Kostenschätzung kommt so zu stande:

  1. 25.000 Euro für die Erneuerung der Ampeln inklusiver sparsamerer LED-Beleuchtungstechnik
  2. 30.000 Euro, wenn auch die Bushaltestellen umgebaut werden
  3. 130.000 Euro für den Umbau der Fahrbahnen und Errichtung der Diagonalquerung

Punkt 1 kommt irgendwann eh auf die Stadtkasse zu. Der Umbau der Bushaltestellen ist optional. Die reine Diagonalquerung ohne weitere Umbaumaßnahmen würde nur 25.000 Euro kosten. So fair sollte man mit den Zahlen schon mal sein. Durch die Ausrüstung der Ampeln mit stromsparender LED-Technik könnten pro Jahr und pro für alle Ampeln zusammen ca. 7.000 Euro an laufenden Kosten eingespart werden (Realistische Zahl? Bei vier Ampeln würde sich die Erneuerung schon nach weniger als einem Jahr amortisiert haben. Update: 7.000 Euro werden pro Jahr für alle Ampeln zusammen eingespart.).

Geht man von den Ergebnissen der 2008 durchgeführten Radverkehrszählung aus, könnte die Diagonalquerung von 9.000 Radfahrern täglich genutzt werden. Mit 45 Sekunden Zeitersparnis pro Querung würde das pro Jahr 40.000 eingesparte Stunden an Wartezeit ergeben. Bei Verkehrsprojekten des Bundes wird für die Zeitersparnis der volkswirtschaftliche Nutzen berechnet und mit ca. 7 Euro pro Stunde angesetzt. Das Projekt Diagonalquerung käme so auf einen theroretischen (!) volkswirtschaftlichen Nutzen von 280.000 Euro. Dieses Zahlenspiel ist für die Realisierung aber irrelevant.

REDUZIERUNG DER UNFALLGEFAHR

Im weiteren Verlauf der Veranstaltung kam Gerhard Imhorst auf angesprochene Kritik an dem Projekt zu sprechen und brachte teilweise mit Studien belegte Gegenargumente. So entgegnete er gegenüber der Befürchtung, dass es zu vermehrten Unfällen käme, seit 15 Jahren gab es bei den illegalen Querungen keinen einzigen Unfall. Unfälle mit rechtsabbiegenden Kfz gab es aber an den bestehenden Übergängen. Diese Gefahr würde beseitigt werden. Wem die Querung allerdings zu unsicher sei, müsse sie nicht benutzen. Die normalen Überwege blieben schließlich bestehen.

Im Anschluss an die Vorstellung des Vorhabens kam es zu Fragen aus dem Publikum. Unter den Fragen waren einige Verständnisfragen, Anregungen und auch Kritik am Verhalten der Verkehrsteilnehmer. So wurde von zwei seit mehreren Jahrzehnten in Greifswald Fahrrad fahrenden Einwohnern schärfere Kontrollen, mehr Polizei (Zustimmung bei vielen Grünen) und höhere Strafen gefordert.

Der Student Erik von Malottki bekannte sich schuldig, auch mal die falsche Straßenseite zu benutzen, und sagte dazu: „Illegales Fahrverhalten wird durch schlechte Infrastruktur hervorgerufen und kann durch sinnvolle Maßnahmen wie die Diagonalquerung abgestellt werden“. Eine andere Zuhörerin merkte an, dass sie vor allem das Ausspielen der einzelnen Verkehrsteilnehmenden gegeneinander an der bisherigen öffentlichen Diskussion störte.

PROJEKT STÖSST AUF BUNDESWEITES INTERESSE

Karl Hildebrandt aus der Umweltabteilung des Stadtbauamtes stellte klar, dass das Projekt nicht an den Kosten scheitere. Hierfür seien bereits Fördermittel in Aussicht gestellt worden. Das Umbauvorhaben ist deutschlandweit einmalig und hat Modellcharakter. „Verkehrs- und Stadtplaner rufen mich an und fragen, wann wir fertig sind, weil sie es besichtigten wollen,“ berichtete Gerhard Imhorst.

Nach etwas mehr als einer Stunde ging die Veranstaltung zu Ende. Die ca. 30 Gäste waren überwiegend jung, männlich und/oder Mitglieder der Grünen Bürgerschaftsfraktion. Mitglieder anderer Fraktionen oder klare Gegner des Projektes fehlten vollkommen. Schade, wenn zu sachlich informiert wird, bleiben die lauten Kritiker lieber zu Hause. Auch das Lokalblättchen hatte anscheinend keinen Redakteur zur Veranstaltung geschickt. Sachlichkeit passt ja auch nicht ins Bild der Meinungsmache.

Foto: [1] eigenes Bild, [2] Stadt Greifswald // keine CC-Lizenz

7 Kommentare



  1. Rechenkünstler und keine weitere Fragen?

    „… könnte die Diagonalquerung von 9.000 Radfahrern täglich genutzt werden. Mit 45 Sekunden Zeitersparnis pro Querung würde das pro Jahr 40.000 eingesparte Stunden an Wartezeit ergeben. …“
    Diese Rechnung, wenn ich sie richtig verstanden habe und nicht noch versteckte Faktoren darin enthalten sind, ist m E. falsch.
    Ich nehmen mal an, dass an den Sonn- und Feiertagen und in den Semesterferien wesentlich weniger Radfahrer die Kreuzung rechteckig oder diagonal queren.
    Mein Ansatz in erster Näherung:
    – 209 Werktage mit 9000 Radfahrern
    – 105 Tage mit 1350 Radfahrern (15%) (Sonn- und Feiertage einschließlich Studenten)
    – 51 Werktage ohne Studenten (Semesterferien) 35% der Maximalauslastung = 3150 Querungen
    Mein Ergebnis daraus, eine Einsparung von 27.292 Stunden. Auch noch eine ganze Menge, aber was ist nun an meiner Rechnung falsch?
    Gravierender sehe ich die offensichtlich vorgesehene Diskriminierung einer wesentlichen Gruppe von Verkehrsteilnehmern, den Fußgängern. Oder habe ich auch dort etwas falsch verstanden?
    Die Zeichnungen verdeutliche m. E., dass die Diagonalquerung nicht wesentlich länger als der bisherige Übergang über die Wolgaster Straße ist. Warum sollten dann die Fußgänger diese nicht auch nutzen können?
    Aber ich war bei der Diskussion nicht anwesend, habe keine Leserbriefe geschrieben, gehöre weder einer Partei noch einer der hier spekulativ erwähnten „ starken Lobbygruppen“ an, bin nicht über mein Festnetz-Telefon befragt worden. Also stelle ich auch lieber keine weiteren Fragen. 😉

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    1. Das war ja nur ein Rechenbeispiel von Herrn Imhorst. Man könnte auch davon ausgehen, dass eine gut ausgebaute Fahrradachse ohne Kopfsteinpflaster in der Robert-Blum-Straße den Anteil des Radverkehrs weiter erhöht.

      Fußgänger werden in sofern diskriminiert, dass sie die Diagonalquerung nicht benutzen dürfen. Das ist auch der einzige Punkt. Durch eine Verschmalerung der Kreuzung werden auch die bestehenden Übergänge kürzer und die Querung kann schneller erfolgen. Außerdem wird durch weniger Radfahrer das Konfliktpotential reduziert.

      Fragen stellen ist doch nie verboten!

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