Leben im System Hartz IV: Tag 61 – eine falsche Hoffnung

In der Artikelserie „Leben im System Hartz IV“ schildere ich den alltäglichen Frust und die Schikanen des Jobcenters an Hand meiner eigenen Erfahrungen. Wer erst jetzt einsteigt, findet am Ende des Artikels Links zu den bisher geschriebenen Erlebnissen.

jobcenter

Showdown vertagt

„Ohne Termin geht hier gar nichts!“ sagt die Frau am Empfangsschalter des Jobcenters. Der für heute angekündigte Showdown fällt aus. Dabei hatte ich gestern extra noch im SGB II gestöbert und Informationen für meine Sachbearbeiterin zusammengestellt, darunter ist auch die Information vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, dass eine Untervermietung nicht als Einnahmen angerechnet wird, wenn damit die Gesamtmiete gesenkt wird. Enttäuschung und Wut, denn im Wartesaal öffnet sich der gähnende Schlund der Langeweile.

Niemand im Wartesaal, niemand in der Schlange hinter mir. Sieht nicht so aus, als ob Vorpommern viele Hartz-IV-Bezieher hätte. Montag morgen 9 Uhr im Jobcenter Vorpommern-Greifswald Nord Team „Selbständige“ und alles ist friedlich. Fast. Ich bestehe vehement darauf, mit meiner Sachbearbeiterin oder der Teamleitung zu sprechen. Die Empfangsdame bekommt niemanden ans Telefon, aber einen Termin für morgen können wir ausmachen. Gut, dann halt morgen.

Falsche Hoffnung kommt auf

Wenig später beim Käffchen mit meinem Begleiter vom Diakonischen Werk. Auch er kann sich den Ablehnungsbescheid nicht erklären. Vielleicht war es ja nur ein dummes Missgeschick. In uns beiden keimt ein Funken der Hoffnung auf. Möglicherweise trifft heute noch ein Brief mit dem richtigen Bewilligungsbescheid ein. Eine falsche Hoffnung. Stunden später – die Zusteller waren bereits da – ist der Briefkasten weiterhin leer.

Mein falscher Bescheid ist kein Einzelfall. Heute gibt es in den Medien die Meldung, dass ein Großteil der Widersprüche und Klagen gegen die Bewilligungsbescheide erfolgreich ist. Die vielen fehlerhaften Bescheide sind erschreckend. Hartz IV ist nicht nur für einen Teufelskreis aus überforderten Jobcentern und schikanierten Leistungsempfängern verantwortlich, sondern auch eine Beschäftigungsmaßnahme für Rechtsanwälte und Gerichte.

Fordern und Verarschen

Ein Bekannter – nennen wir ihn Max Mustermann – berichtete mir jüngst von seinen Erlebnissen beim Jobcenter. Max hat sein Studium ebenfalls abgeschlossen und sein Vertrag beim Nebenjob war vor Kurzem ausgelaufen. Ab September hat er eine Stelle, doch der Vertrag war noch nicht da. Als Max beim Jobcenter Leistungen beantragen wollte, versuchte man ihn abzuschrecken. Ihm wurde nahe gelegt, lieber Unterstützung durch seine Familie zu erhalten. Außerdem wurde Max der Lüge bezichtigt, weil er keinen Arbeitsvertrag vorlegen konnte. Und natürlich hat er einen Ein-Euro-Job aufgedrückt bekommen.

Hauptsache aus der Statistik raus. Dass Ein-Euro-Jobs eigentlich für die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt gedacht waren, ist irrelevant, schaffen sie eh kaum, daher dienen sie inzwischen der Schikane. Jeder Politiker, der die Hartz-Gesetzgebung und Umsetzung noch lobt, sollte einfach mal das Selbstexperiment machen und drei Monate Hartz-IV beziehen.

Mehr aus dem Leben im System Hartz IV lesen:

3 Kommentare


  1. Widerspruch schreiben hätte den Gang zum Jobcenter ersetzt und Frust und Wut hätte es (zumindest vorerst) nicht gegeben. Der Zeitaufwand wäre wohl auch nicht größer gewesen.
    Mein Tipp: Mit Behörden schriftlich verkehren.

    Antworten

  2. „Auch er kann sich den Ablehnungsbescheid nicht erklären. Vielleicht war es ja nur ein dummes Missgeschick.
    Vielleicht war ja auch nur die Datenleitung zur NSA gestört und es wurde dadurch ein falscher Bescheid in den USA generiert?
    Die Daten der deutschen Jobcenter sind doch eine wahre Fundgrube für die NSA. Wer beweist mir das Gegenteil? 🙁
    Ich habe übrigens schon mal einen Bescheid für einen Arbeitslosen aus Kemnitz erhalten. Wenn ich nicht im Arbeitslosencenter (liegt schon ein paar Jahre zurück) angerufen hätte, wäre der auch verloren gegangen. Die Bearbeiterin hatte eigentlich auch gar kein Interesse an dem Bescheid.

    Antworten

  3. @Daburna
    Ich habe mir nicht alles durchgelesen, aber es erinnert mich an einen Bankdirektor einer Bausparkasse kurz nach der Wende. Er sagte mal: „Sie kommen hier in eine knallharte Gesellschaft. Hier geht es nur ums Geld und diese Gesellschaft will beschissen werden.“

    Ich vermute, diese vielen Ablehnungsbescheide haben System und das nicht nur zu Lasten für Leistungsbezieher, die kein eigenes Einkommen haben.

    Schauen wir bei den Krankenkassen…wie viele Bescheide werden ersteinmal abgelehnt. Viele Antragsteller nehmen es hin, dadurch sparen die Krankenkassen schon mal Geld. Diejenigen, die in Widersprüche gehen, haben mitunter einen jahrelangen Kampf zu führen und viele geben auf.

    Der Kampf beschäftigt immer die Juristerie und egal, wer gewinnt, der Jurist verliert nie.

    So könnten noch mehrere Bereiche aufgezählt werden, in denen der Kunde nach Strich und Faden beschissen wird. Einen will ich noch nennen. Es ist die Versicherungsbranche, speziell fällt mir die Berufsunfähigkeitsversicherung ein, vielleicht weil mir dazu ein Fernsehbeitrag in Erinnerung ist, der aufzeigte, mit welchen Argumenten Versicherungsrechtsverdreher die Kunden über den Tisch ziehen.

    Ganz spontan kommt mir noch Maschmeyer in den Sinn und so einige Größen aus der Politik…., die Gesetze schufen, die den einen „stink“reich machen und anderen das letzte Hemd vom ….reißen.

    Alles verschiedene Bereiche und trotzdem geht es immer wieder um den Beschiss am Kunden, egal ob in der Versicherungswelt oder im Jobcenter.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Gabriele Bieck Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert