Leben im System Hartz IV: Tag 33 – Der erste Monat ist rum

Elchkopf
Im Ostseebildungszentrum hängt ein Elchkopf an der Wand.

Auf meine ersten zwei Artikel habe ich viel Feedback erhalten. Ich habe von Anderen erfahren, denen es ähnlich erging und mir wurden Tipps zu Informations- und Selbsthilfeforen gegeben. Dankeschön! Manch einer fragte nach, wann denn endlich ein neuer Artikel käme, jetzt ist es soweit.

Der Groll ist verschwunden

Hartz IV ist nicht gleichbedeutend mit Freizeit. Zum einen unterliege ich den Zwängen des Systems und zum anderen arbeite ich fleißig ehrenamtlich und für meine Nebenverdienste auch am Wochenende. Zeit für einen Strandbesuch oder – für euch viel spannender – eine Fortsetzung der angefangenen Artikelreihe war bisher nicht da. Dafür ist aber der Anfangs gehegte Groll gegen das System Hartz IV verschwunden.

Zeit ist das Beruhigungsmittel in fast allen Lebenslagen. Heute am 33. Tag im System Hartz IV verspüre ich keinen großen Ärger mehr. Das liegt auch daran, dass meine erste Maßnahme schon stattfand und wider Erwarten gut war. Wieso?

Fünf Tage Profiling beim OBZ

Beim Ostseebildungszentrum (OBZ) hatte man meine bisherige Hartz-IV-Artikelserie verfolgt und mich gleich beim Einreichen meines “Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein” darauf angesprochen. Das kam unerwartet, aber in keinem vorwurfsvollen Ton sondern mit der Frage verbunden, was ich denn in den fünf Tagen und nicht, wie es zuerst hieß, zwei Wochen dort machen wolle.

Lebenslauf ansehen und überarbeiten, Quellen für Stellenangebote finden und Hilfe bei der Formulierung von Bewerbungsanschreiben waren meine Antworten. Zehn Tage später begann die Profiling genannte Maßnahme. Es handelte sich um eine Eins-zu-eins-Betreuung von 8 bis 15:15 Uhr mit variabler Mittagspause von 30 Minuten. Kostenpunkt der Maßnahme: 899,00 Euro, die vom Jobcenter bezahlt werden.

Den ersten Tag verbrachten wir mit einem Interview, das persönliche Stärken und Kompetenzen ermittelte. Anschließend gingen wir noch das Berufsbild des Geographen durch und sammelten relevante Berufsbezeichnungen für das Auffinden von Stellenangeboten. In den Folgetagen suchten wir nach Stellenangeboten und schrieben Bewerbungen. Aufgelockert wurde es immer wieder durch Tests, die Allgemeinwissen, Geographiekenntnisse, Mathe, logisches Denken, Rechtschreibung und so weiter abfragten.

Am Ende wurde mir und dem Jobcenter bescheinigt, dass ich sehr gut vermittelbar sei und in den nächsten sechs Monaten einen Job finden würde. Das ist jetzt natürlich sehr komprimiert zusammengefasst, beschreibt den Kern der fünf Tage aber sehr gut. Meine anfängliche Befürchtung, dass mir diese Maßnahme nichts bringen würde, wurde schnell ausgeräumt.

Erneut beim Jobcenter

Es war der 28. Tag im System Hartz IV. Morgens um 8 Uhr hatte ich einen Termin zur Abgabe meines Leistungsantrags. Tags zuvor hatte ich gefühlte 100 Seiten Kontoauszüge der letzten Monate und weitere Unterlagen ausgedruckt. Beim Termin sah sich die Mitarbeiterin des Jobcenters den Antrag auf Vollständigkeit durch, checkte die Kontoauszüge und gab sie mir ohne Beanstandung oder Nachfragen zurück.

Am Nebentisch, der durch eine schulterhohe Trennwand von uns separiert war, sprach eine ehemalige Studentin vor. Jedes Wort war zu hören. Sie hatte gerade ihr Studium abgebrochen und in acht Wochen in Hamburg eine Ausbildungsstelle. Zur Überbrückung wollte sie Hartz IV beziehen. Sofort wurde sie der ABS zugeteilt und sollte sich dort für einen Ein-Euro-Job melden. Sie fragte leicht verzweifelt nach, wie sie das denn mit der Wohnungssuche in Hamburg und ABS hinbekommen solle. Die genaue Antwort ist mir nicht im Gedächtnis geblieben, war aber nicht befriedigend.

Stand der Bewerbungen

Inzwischen habe ich zwölf Bewerbungen in die verschiedenen Winkel der Republik geschickt, zwei Absagen kassiert (zum Glück war darunter auch der neueinhalb Wochen Job) und ein Initiativbewerbungsgespräch geführt, das durch Kontakte des OBZ zustande kam. Sehr positiv fiel mir auf, dass fast jedes Unternehmen oder öffentliche Verwaltung den Erhalt der Bewerbung bestätigt. Dagegen machte sich das ungenügende Stellenangebote in Mecklenburg-Vorpommern sehr negativ bemerkbar.

Selbst wenn der Wille vorhanden ist, hier zu bleiben, macht es die Situation vor Ort kaum möglich. Zwar wird ständig über den Mangel an Fachkräften genörgelt und deswegen begonnen, Personal aus dem In- und Ausland anzuwerben, doch Stellen für Akademiker scheinen in Mecklenburg-Vorpommern sehr rar gesäht zu sein. Dabei geht es Jugendlichen kaum anders, hieß es letztens im Nordkurier.

Klarstellung am Ende

Bevor in dieser Reihe ein falsches Bild entsteht, möchte ich etwas klarstellen. Mir kommt es nicht drauf an, dass gerade fertig gewordene Akademiker vom Jobcenter drangsaliert werden und über die große Ungerechtigkeit Tränen verschütten. Das System Hartz IV ist genauso entwürdigend für  den gesamten „Kundenkreis“ des Jobcenters, egal ob Schulabgängerinnen, Ausgebildete oder Langzeiterwerbslose.

Mehr aus dem Leben im System Hartz IV lesen:

4 Kommentare


  1. Eine sinnvolle Maßnahme? Tatsächlich eine Überraschung. Möglicherweise haben sie sich aber auch im Vorfeld extra Gedanken gemacht, dass Olli Wunder eine möglichst sinnige Maßnahme bekommt um eben dem Klischee zu widersprechen.Sie wussten ja, dass es wahrscheinlich einen erneuten Post auf deinem Blog dazu geben würde. Unter dem Gesichtspunkt wäre es vielleicht eher eine Überraschung gewesen, wenn sie dir irgendeinen Schwachsinn reingedrückt hätten wie es sonst häufig passiert.

    Aber wer weiß…

    Antworten

    1. Das ist natürlich die Gefahr, wenn ich meine Erfahrungen hier quasi so „live“ mitteile. Meine persönliche Betreuerin wusste aber nichts von den Artikeln, denke also schon, dass es auch ohne Vorwissen beim OBZ nicht viel anders geworden wäre.

      Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Fleischervorstadt-Blog Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert