Eisenbahnfernverkehr in Deutschland seit 1999 drastisch reduziert

Bis auf wenige Ausnahmen wurde das Fernverkehrsangebot der Bahn zwischen 1999 und 2010 ausnahmslos reduziert oder ganz abgeschafft. Der letzte Höhepunkt im großen Streichkonzert der Bahn in Vorpommern war die Reduzierung der IC-Verbindungen zwischen Rügen, Stralsund, Greifswald und Berlin seit Dezember 2010. Statt täglich fünf gab es seitdem nur noch zwei IC-Verbindungen pro Tag auf dieser Strecke. Ende März kam wochentags ein (Schneckentempo-)ICE von Stralsund nach München über Berlin hinzu. Zusätzlich gibt es unregelmäßig auch einen EC in beide Richtungen.

Nun zeigt der kürzlich veröffentlichte Wettbewerber-Report Eisenbahn 2010/2011 wie stark die Streichungen der Bahn nicht nur Vorpommern sondern ganz Deutschland betroffen haben. Auf einer Deutschlandkarte ist eingetragen, wie sich die Zahl der Abfahrten pro Woche im Fernverkehr zwischen 1999 und 2010 verändert hat. Nur in fünf Städten hat sich das Angebot verbessert. Diese liegen alle in Südwestdeutschland.

Entwicklung des Eisenbahnfernverkehr in Deutschland zwischen 1999 und 2010. Quelle: Wettbewerber- Report Eisenbahn 2010/2011
Entwicklung des Eisenbahnfernverkehr in Deutschland zwischen 1999 und 2010. Quelle: Wettbewerber- Report Eisenbahn 2010/2011

Die Reduktion des Fernverkehrsangebot in Greifswald um 28 Prozent erscheint da angesichts von der kompletten Streichung in größeren Städten wie Bremerhaven in einem anderen Licht. Es hätte Vorpommern auch wesentlich schlimmer treffen können. Die Karte zeigt eindrucksvoll – passend zur ARD-Themenwoche „Der mobile Mensch“ – wie seit der Überführung der Bahn in eine staatliche Aktiengesellschaft mit Ziel Privatisierung also Börsengang der Zugang zum Fernverkehrsmittel Eisenbahn drastisch eingeschränkt wurde.

Anmerkungen:

1. In der Analyse wurde das Kernnetz außen vor gelassen. Es sind außerdem nur Städte mit einer Einwohnerzahl von mindestens 40.000 betrachtet worden. Als Kernnetz wurden die Achsen Hamburg – Basel, Dortmund – Köln – Frankfurt bzw. Stuttgart – München, Hamburg/Berlin – Göttingen – München und Berlin – Leipzig – München definiert, deren Stationen sich typischerweise durch mindestens 500 Abfahrten pro Woche auszeichnen.

2. Bei der Lektüre des Berichts muss im Hinterkopf behalten werden, dass er von privaten Konkurrenten der Bahn herausgegeben wurde. Diese haben ein klares Interesse an mehr Wettbewerb. Daher kann es sein, dass nur Entwicklungen aufgegriffen werden, die die Argumentation der Bahn Konkurrenten untermauern.

9 Kommentare


  1. du bist ja fix – der bericht liegt bei mir auch schon rum, aber ich habe mich noch nicht rangemacht…

    btw: kannst du einstellen, dass diese video-ad von google mit der erotischen phantasie ne „konkurrenzseite“ von dir ist und nicht mehr angezeigt werden soll?

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    1. Ich fand das was die OZ dazu gemacht schon ganz in Ordnung und hab mal geguckt, ob es woanders aufgegriffen wurde. Aber wenn du bei Google News suchst, gibt es da nur eine handvoll Nachrichtenmeldungen zu.

      Die „erotische Phantasie“ war ein kleiner bewußter Test. Ich hab nur gewartet bis jemand meckert, um es dann rauszunehmen. Interessant ist aber, wie viele Menschen darauf klicken. Sex sells und zwar ordentlich. Kommt aber in dieser Form hier nicht mehr vor.

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      1. manche klicken ja auch nur, um erstens das angebot zu überprüfen und vor allem zweitens den publisher zu supporten.


      2. Da hab ich auch gar nichts gegen. Wie gesagt, war das eine Ausnahme und gleichzeitig Provokation. 😉


  2. Einige Punkte müssen hier beachtet werden:
    1. Viele der kleinen Fernverkehrshaltepunkte sind politisch durchgesetzt und machen verkehrlich kaum Sinn.
    2. In vielen Regionen werden die regionalen Bahnnetze erneuert und ersetzen dann IC-Züge mit Regionalexpress-Zügen. Die Zeitunterschiede sind da eher gering.
    3. viele der Städte mit Rückgang in der Fernverkehrsanbindung liegen entlang neuer Schnellfahrstrecken, auf denen das Angebot zwischen den Metropolen stark ausgebaut wurde. Insgesamt ist die Zahl der Passagiere nämlich gestiegen – die Strategie scheint also die Attraktivität der Bahn zu erhöhen.
    3. Der Rückzug aus der Fläche ist nicht nur ein Bahn-Phänomen, sondern auch ein demographisches… Das Leben auf dem Land verliert offenbar für viele seinen Reiz.

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    1. Die Teilnahme am Verkehr zählt doch zur Daseinsgrundfunktion und soll dementsprechend allen Menschen ermöglicht werden. Da ist es klar, dass einige Halte politische gewollt sind. Du meinst, dass sie verkehrlich keinen Sinn machen oder ökonomisch?

      Der Zeitunterschied zwischen einem IC und einem RE zwischen Greifswald und Berlin beträgt ca. 30 Minuten. Das mag nicht so dramatisch erscheinen. Fakt ist aber, dass die RE ständig überfüllt und veraltet sind. Außerdem wird der Nahverkehr von den Ländern finanziert. Der Schritt also Fernverbindungen einzuschränken ist von der Bahn rein ökonomisch begründet und wälzt Probleme auf die Länder ab. Anstatt die Atraktivität ihres Angebots zu steigern, steigt die Bahn aus dem ökonomischen Risiko komplett aus und bedient nur noch gutlaufende Strecken. Das darf sie meiner Meinung nach aber nicht tun, da dies ihrer Funktion als Erfüller der Daseinsgrundfunktion widerspricht.

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      1. Ich meine auch „verkehrlich“ – denn wenn eine Fernverkehrsstrecke aufgrund vieler Zwischenhalte wieder langsamer wird, als technisch möglich wäre, verringert sich die Attraktivität gegenüber dem Klimakiller Flugzeug oder dem Auto. Fernverkehr ist eben für Fernstrecken da und soll eben nicht überall halten. Dass der Nahverkehr trotzdem überall angemessen ausgebaut, modernisiert und verbessert werden soll ist davon natürlich unabhängig und richtig. Die Diskussion über den Grundsatz gleicher Lebensbedingungen im ganzen Land und somit über die Erfüllung der Daseinsgrundfunktion durch die Bahn ist eine andere und wird – anders als die Bahndiskussion – leider noch nirgendwo offen geführt.


      2. Gut. Fernverkehr-Haltestellen im Grünen finde ich auch mehr als sinnlos. Da müssen einfach regionale Zubringer von den größeren Bahnhöfen da sein.

        Ein sehr spannendes Thema für Humangeographen!


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