Offener Brief ehemaliger Besucher_Innen des AJH

Bargteheide war jahrelang die Stadt meines Lebensmittelpunktes. Schule und Freunde waren dort angesiedelt. Zu der Kleinstadt im Kreis Stormarn, Schleswig-Holstein, gehörte und gehört immer noch das Autonome Jugendhaus (AJH) Bargteheide dazu. Am letzten Mai-Wochenende fand in Bargteheide ein Stadtfest statt, dabei kam es am Samstag Abend zu gewaltsamen Übergriffen. Laut Zeitungsberichten wurde eine Gruppe rechter Jugendlicher von linken Jugendlichen brutal zusammengeschlagen. Dabei wurde das AJH in Zusammenhang mit den Übergriffen gebracht. Aus diesem Grund wurde der folgende offene Brief geschrieben und veröffentlicht.

Autonomes Jugendhaus Bargteheide

Offener Brief ehemaliger Besucher und Besucherinnen,
Unterstützer und Unterstützerinnen
des Autonomen Jugendhauses Bargteheide (AJH) zu den Vorfällen in Bargteheide am 29. Mai 2010

An
die Bargteheider Jugendlichen,
die Aktivistinnen und Aktivisten, Besucherinnen und Besucher des AJH,
die Bargteheider Bürgerinnen und Bürger,
die Lokalpolitik und Lokalpresse.

Aus der Presse und aus Bargteheide selbst haben wir in der letzten Woche erfahren, was sich am 29. Mai 2010 während des Stadtfests in Bargteheide abgespielt hat. Als ehemalige Besucher und Besucherinnen des AJH der letzten 20 Jahre möchten wir dazu wie folgt Stellung nehmen:

Wir wissen immer noch nicht, was genau am 29. Mai auf dem Marktplatz passiert ist. Was zu dem Vorfall, in dessen Verlauf mehrere Menschen zum Teil schwer verletzt wurden, zu sagen ist, hat das Autonome Jugendhaus in seiner Stellungnahme vom 1. Juni in aller Deutlichkeit gesagt. Gewalttätige Angriffe, wie sie hier stattgefunden haben, können nicht die Form des Engagements gegen Nazis sein.
Was uns allerdings verwundert und beunruhigt, ist, dass die gewalttätige Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit teilweise vorschnell und ohne Beleg mit dem AJH in Verbindung gebracht und dessen Arbeit damit gefährdet und diffamiert wurde.

Wir möchten dagegen betonen:

Selbstverwaltete Jugendarbeit, wie sie seit über 25 Jahren im AJH betrieben wird, ist nicht Teil des Problems ‚der Gewalt‘, sondern Teil der Lösung.
Die kulturelle und politische Arbeit, die eigenständige Organisierung von offenen Räumen, in denen Jugendliche sich treffen und auf die von ihnen gewählte Art und Weise ihre Persönlichkeit entwickeln können, ist das beste Mittel gegen die Entstehung von Gewalt.
An Orten wie dem AJH wird die so oft von Politik und Medien eingeforderte Zivilcourage erdacht, geübt und gelebt. Im AJH findet sie statt, die Eigeninitiative, die gelebte Demokratie – in Form des selbst organisierten Jugendhausbetriebs, von politischen Diskussionsveranstaltungen und thematisch weit gestreuten Seminaren, Filmabenden, Partys, Konzerten und vielem mehr. All das geschieht im AJH schon seit mehr als einem Vierteljahrhundert. Der entscheidende Punkt ist unserer Ansicht nach, dass es gerade die Existenz von Orten wie dem AJH ist, die die Entwicklung und Verbreitung von rechtsextremem Gedankengut und Gewalt verhindert.

Die undifferenzierte Rede von der Gewalt zwischen „linken und rechten Jugendlichen“, wie sie in der Debatte teilweise zu beobachten war, ist eine gefährliche Gleichsetzung. Sie birgt die Gefahr, dass die Jugendarbeit des AJH diffamiert und rechtsextreme Gruppierungen verharmlost werden.

Bargteheider und Bargteheiderinnen, Presse und Politik sollten das Problem und die Gefahr ernst nehmen:
In Stormarn hat sich in den letzten Jahren eine Neonazi-Szene entwickelt, deren Aktionen sich schnell gewalttätig gegen ihre ‚Gegner‘ richteten. Unter anderem wurde zweimal das AJH angegriffen. Inzwischen hat diese Szene eine eigene Website unter dem Titel „Autonome Nationalisten Stormarn“, auf der sie offen an den Nationalsozialismus anschließt.
Es muß klar gesagt werden: Diese Gruppe und ihre Vorbilder stehen für Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt gegen Andersdenkende. Aus diesem Grund werden die „Autonomen Nationalisten Stormarn“ inzwischen auch vom Verfassungsschutz beobachtet. (Quelle: Jahresbericht des Verfassungsschutzes Schleswig-Holstein 2009, S. 70f.)

Wer ein wenig länger in Bargteheide wohnt, wird sich auch erinnern: Es gab bereits Anfang und Mitte der 1990er Jahre Probleme mit Neonazis in Bargteheide und Bargfeld-Stegen, die Jugendliche angriffen und verletzten, in einem Fall sogar die Wohnung einer Wohngemeinschaft in der Rathausstrasse attackierten. Nun hat sich wieder eine solche Szene entwickelt, und wieder gibt es Angriffe auf alternative Jugendliche und ihre Orte.
Da hilft es wenig, wenn Bürgermeister Dr. Henning Görtz die Problematik mit dem Verweis auf „angereiste“ Neonazis herunterspielt: Von einer „Anreise“ kann man im Fall von Bargfeld-Stegen, Elmenhorst und anderen Dörfern wohl kaum sprechen.
Der entscheidende Punkt ist: Während der letzten 26 Jahre gab es stets ein lebendiges Autonomes Jugendhaus. Gewalt aber gab es nur, wenn es auch organisierte Neonazis gab.

Statt erst aufmerksam zu werden, wenn es Gewalt gibt, sollte die Stormarner Öffentlichkeit sich das grundlegende Problem bewusst machen und diejenigen unterstützen, die sich seit Jahren dagegen engagieren.
Wenn die Vorfälle vom 29. Mai zur Folge hätten, dass die selbstorganisierte Jugendarbeit im Autonomen Jugendhaus diskreditiert oder behindert würde, wäre dies nur ein Erfolg für die Neonazis.

Gerade weil es in Stormarn inzwischen ein Problem mit Neonazis gibt, dürfen die Jugendlichen, die sich tatsächlich gegen neonazistische Aktivitäten engagieren, nicht behindert werden, sondern müssen offene, demokratische und antifaschistische Orte und Strukturen wie das Autonome Jugendhaus Bargteheide unterstützt werden!

Unterzeichnete (37 Personen)

Quelle: Autonomes Jugendhaus Bargteheide

2 Kommentare


  1. ich war zwar selbst nur selten Gast im AJH aber: *SIGNED*

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    1. Ja so oft war ich auch nicht da, aber der Begriff UnterstützerIn ist ja auch weiter gefasst und betrifft uns beide recht gut. 😉

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